Dienstag, 26. August 2014

Über den Hang zum Drang.

Letzte Woche hatte ich eine angeregte Unterhaltung über die Geduld. Dabei fiel der Satz "Als der liebe Gott die Geduld verteilte, stand ich hupend im Stau!". Wie treffend, dachte ich, bringt's irgendwie genau auf den Punkt.

Die letzten Wochen und Monate haben mir glasklar vor Augen geführt, welchen Hang zum Drang in mir steckte. So sehr ich das im Ausdauersport unverzichtbare Konzept "Geduld bringt Rosen" verinnerlicht hatte, mein Drang, immer wieder zu neuen Ufern aufzubrechen war unstillbar. Anstatt geduldig abzuwarten, bis sich die Früchte der Anstrengungen einstellen, drehte ich, besonders während den sechs Monaten in Australien, an mehreren Schräubchen gleichzeitig. Ich wollte den Prozess beschleunigen. Mit fatalen Folgen.

Wenn der Körper rebelliert, wird dieser Hang zum Drang zum alles zerstörenden Gift. Dann hilft nur der Entzug!

Das Schlimme an diesem Entzug ist, dass er durchaus ähnliche Symptome hervorbringt, wie der Entzug von Suchtmitteln. Erst einmal leugnet man ja, dass das Problem überhaupt existiert. Wie bei einem Alkoholiker ist die Chance auf den erfolgreichen Entzug erst dann gegeben, wenn man offen zu gibt: Ich bin ein Ausdauer-Junkie!

Dann folgt die Entzugsphase. Pausenlos pocht im Kopf der Gedanke: Geh raus und trainiere! Glücklicherweise erlaubt diese Phase immer noch regelmässig leichtes Erholungstraining. Aber kaum unterwegs quälen dich die Stimmen im Kopf, die nach Leistung, nach Verausgabung, nach Endorphinen schreien. Ihnen nachzugeben ist fatal - es wirft dich sofort um Tage zurück.

Nun, da bin ich heute glücklicherweise durch. Denn ist der Hang zum Drang erst einmal besiegt, macht sich eine neue Gelassenheit breit. Und die fühlt sich wunderbar an!

Jetzt erst kann ich nachvollziehen, wie getrieben ich gewesen bin. Oberstes Ziel meiner Trainingsphilosophie war es, das Körperempfinden so zu schulen, dass die Trainingssteuerung ganz ohne technische Hilfsmittel möglich war. Wer braucht schon Puls-und Wattmesser, wenn der beste Computer der eigene Körper ist?

Irgend wo auf diesem Weg ging die Sensibilität verloren. Müdigkeit wurde zum ständigen Begleiter und auf einmal ganz normal. Körper, Geist und Seele waren nicht mehr im Einklang. Und das war der Moment des Selbstbetrugs.

Es wäre vermessen zu behaupten, dass ich nun wieder alles im Griff habe und frisch, fröhlich die nächsten Ziele in Angriff nehmen kann. Dieses fragile Gleichgewicht entsteht nicht von einem Tag auf den anderen und bedarf laufender Pflege.

Aber ich bin auf gutem Weg. Ich bin wieder ehrlich zu mir selbst und gehe alles ruhig und besonnen an. Ein Tag ohne Training ist ein gewonnener Tag und nicht ein verlorener. Mein Körper ist zunehmend wieder bereit, Herausforderungen anzunehmen - aber er dürstet nicht mehr danach. Und erfolgreich bestandene Herausforderungen ziehen eine Belohnung in Form von Ruhe und Entspannung nach sich.

Welch ein Genuss!

Sonntag, 3. August 2014

Über das Gleichgewicht der Schieflage.

Vor gut zwei Wochen musste ich mir eingestehen, dass es aus meiner Schieflage kein schnelles entrinnen gibt. Es bestand keine Aussicht darauf, innert nützlicher Frist wieder Rennen zu können. Und die unendliche Müdigkeit und der fehlende Antrieb, die sich tief in meinem Körper ausgebreitet hatten, löschten jeden Funken Hoffnung auf Hawaii 2014 aus.

In dem Moment, wo ich die Niederlage meines Willens gegen meinen Körper eingestehen konnte, ging es mir schon wieder viel besser. Ich realisierte, dass meine Psyche während der ganzen Zeit der Ungewissheit einem enormen Stress ausgesetzt war. Ich litt unter einer permanenten inneren Unruhe. Fight or Flight-Modus nennt man das, wenn der Sympathikus rund um die Uhr auf Hochtouren läuft.

Dieses System steckt tief verankert im Stammhirn und ist dazu gedacht, bei drohender Lebensgefahr sicherzustellen, dass der Entscheid zu kämpfen oder zu fliehen sofort gefällt werden kann. Vor tausenden von Jahre war das die Bedrohung eines Säbelzahntigers oder eines Mammuts und diese Situation war nach wenigen Minuten vorüber. Heute funktionieren wir immer noch gleich aber der permanente Stress, dem wir uns aussetzen setzt die gleichen Vorgänge frei, wie ein Raubtier damals. Das Resultat: der Körper erholt sich nicht mehr und aus die Maus.

Darum war es enorm wichtig, den Entscheid für oder gegen Kona sofort zu treffen. Auch wenn mein Parasympathikus immer noch nicht ganz aufgeholt hat und ich ab und an diese innere Unruhe wieder spüre - ich bin viel ruhiger geworden. Und die Belohnung dafür ist, dass ich wieder mehrheitlich ordentlich durchschlafen kann.

Jetzt aber zu glauben, das Ganze sei ausgestanden, wäre ein grosser Irrtum. Davon werden ich fast täglich erinnert, wenn ich etwas leichten Sport betreibe. Zur Klarstellung: kein Training, mehr die Art von Bewegungstherapie wie beispielsweise nach einem Ironman.

Ich versuche mich im Regenenerationsbereich zu bewegen, weil ich fest davon überzeugt bin, dass dies meine Gesundung und Wiedererlangung meiner Leistungsfähigkeit positiv beeinflusst. Dabei bewege ich mich nur so lange, bis mein Körper sagt: das war schön, aber jetzt reicht es. Heute tat er das beispielsweise nach 1500m Schwimmen. An die Bemerkungen wie "schon fertig" habe ich mich auch schon gewöhnt.



Es ist immer wieder aufs Neue die Suche nach dem Gleichgewicht in der Schieflage. Den Körper mit Sauerstoff zu fluten, den Metabolismus anzuregen, Freude an der Bewegung zu erfahren, ohne weiteren Schaden anzurichten. Für einen Ironman eine ganz schön grosse Herausforderung.

Aber es gelingt mir Tag für Tag immer besser. Schliesslich bin ich doch immer noch ein Glückspilz, der sich bewegen kann und die Schönheit eben dieses sich bewegens erleben darf. Das macht Mut, denn der Weg ist noch lang und wird viel Geduld benötigen.

Zum Schluss noch ein Lesetipp aus der heutigen SonntagsZeitung (leider online nur gegen Bezahlung verfügbar): Das Interview mit Dario Cologna. Steckt voller interessanter Information über Be- und Entlastung im Training.