Montag, 30. März 2015

Über einen Sonntag zum Erinnern.

Es ist Sonntag kurz nach 3 Uhr. Ich erwache aus einer Art Halbschlaf und bin sofort wach und präsent. Genau ein Jahr und eine Woche nach meinem letzten Ironman in Melbourne ist es wieder soweit: ein langer Tag mit Sport unter Gleichgesinnten wird um 7.00 Uhr mit einem Böllerschuss beginnen und hoffentlich möglichst früh wieder zu Ende sein.

Die Automatismen funktionieren immer noch. Kurzes Jogging, kurzes Frühstück, warten auf den Stuhlgang. Kurz vor 5 Uhr Abmarsch mit Yves in Richtung Wechselzone mit einem guten Gefühl, denn sowohl das kurze Jogging wie auch der Stuhlgang lassen Gutes erahnen.

Auch in der Wechselzone Business as usual. Reifen Pumpen, Bidons ans Rad, Computer und Schuhe ebenfalls. Und schon ist es 6.15 Uhr und die Wechselzone wird geschlossen. Zeit in den Neopren zu schlüpfen und einzuschwimmen, ein letzter Schluck Gel mit Wasser runterspülen und rein in den Vorstartbereich. Punkt 7 Uhr: päng und los!

Das Meer ist rauh, die Sonne blendet etwas. Aber schnell finde ich meinen Rhythmus und schwimme mich frei. Und los geht es auf die lange Bahn in Richtung Hafen. Die Orientierung ist nicht einfach aber ich finde ein ziemlich gute Linie bis zum Wendepunkt. Mit Rückenwind geht es zurück und das fühlt sich wesentlich einfacher an. Mit einer letzten Welle werde ich quasi gratis an den Strand gespült und schon bin ich unterwegs ins Wechselzelt. Auf diesen wenigen Metern checke ich die Beine: etwas zäh!

Der Weg aus der Wechselzone ist relativ lang und der grobe Belag schmerzt an den Fusssohlen. Schwer zu sagen ob die Beine gut funktionieren. Auf dem Velo beantwortet sich diese Frage aber schnell und unmissverständlich. Die Beine funken: Huston, we have a Problem.

Ich finde es trotzdem zu früh um mich mit dieser Situation auseinanderzusetzen und versuche die Anweisungen von Coach Kurt umzusetzen. Das gelingt auch ganz ordentlich aber es fühlt sich einfach nicht gut an. Es ist der Plan konservativ loszufahren und auch in den Steigungen gleichmässige Wattwerte zu drücken. Aber wieso fühlen sich diese Aller-Tage-Werte bloss so anstrengend an?

Nach 30 Kilometer kommt erstmals der Gedanke ans Aufgeben auf. Es holpert und der Belag ist extrem rau, der Wind bläst und es läuft einfach nicht. Lass es sein, denke ich, und gib deinen Rücktritt bekannt. Wirklich? Bin ich so ein Weichei?

Ich werde durchgereicht, auch in meiner AK. Und ich kann dem nichts entgegensetzen. So dümple ich über die erste von zwei Runden. Steig ab und geh Duschen meldet sich mein Dämon. Halbherzig ignoriere ich die Stimme und mache mich auf die 2. Runde. Wenn es schon beschissen läuft versuche wenigstens mit fliegenden Fahnen unterzugehen. Also erhöhe ich die Schlagzahl und siehe da - kündigt sich da etwa ein Comeback an. So wie Dario Zarro 2009 in Zürich?

Während den nächsten 45 km macht es fast den Anschein bis sich jäh Oberschenkelkrämpfe einstellen. Also Druck raus und retten, was noch zu retten ist. Immerhin kann ich die Krämpfe herausfahren und endlich runter vom Bock in die Laufschuhe.

Blöd nur, dass sich das im Vergleich zum Velo noch einmal um Klassen schlechter anfühlt. Schon nach drei Kilometern ist klar: es wird noch ein langer Tag werden. Nun geht nur noch um eines: finishen. Kona ade.

Mit Ausnahme von Kona 2012 waren mir Finisher-Medaillen bisher schnuppe. Nicht heute, ich will diese, wie ich noch keine wollte. Und eines ist klar: Gehen ist keine Option.

Normalerweise sitzt ja auf der einen Schulter das Engelchen und auf der anderen das Teufelchen. Nun, heute sind es zwei Teufelchen, die ein unglaubliches Getöse negativer Stimmen produzieren. Ausblenden, ausblenden! Das Sprunggelenk beginnt wieder zu Schmerzen. Ausblenden, ausblenden.

Noch zwei Kilometer, die längsten in meinem Leben. Es ist dunkel. Bald bin ich zwölf Stunden unterwegs. Wann kommt endlich diese verdammte KM 41-Tafel? Die war doch sonst schon früher da! Da ist sie, noch 1000 Meter. Einbiegen auf den roten Teppich. You are an Ironman, Gilbert. Die Beine knicken weg.

Nein, ich will nicht ins Medical Tent. Mein Atem rast. Also doch ins Medical Tent. Wie heisst du? Gilbert. Blutdruck messen, Temperatur, Sauerstoffsättigung. Alles im grünen Bereich. Ich bekomme eine Atemmaske und inhaliere irgend ein Gas. Es geht mir besser.

Ich bin nicht enttäuscht - ich bin stolz. Ich habe mindestens 100'000 Aufhören-Befehle ignoriert. Wie heisst es doch: wer finisht ist ein Sieger.

Was ist falsch gelaufen? Alle Beteiligten haben doch ihr Bestes gegeben. Allen voran Coach Kurt. Wieso hat es nicht sollen sein? Sicher, es gibt einige Dinge zu besprechen. Es gibt sicher auch einige Dinge anzupassen. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer.

Der Wunsch war immer ein Comeback mit Hawaii-Quali. Die Realität ist ein Ironman-Finish mit einer Belohnung, die nur diejenigen verstehen können, welche ähnliches selbst einmal erlebt und gemeistert haben.

1 Kommentar:

Mike hat gesagt…

...und wie ich das verstehe! Chapeau!!!