Montag, 4. Oktober 2010

Die Reise zum Mittelpunkt des Ichs.

Letzte Woche, kurz vor der Abreise nach Sardinien, telefonierte ich mit Georges Bürgi. Er hatte die Startliste studiert und meinte: "Neun Starter in deiner AG, aber ich kenne nur Aldo Nobili und Pierre-Alain Piller - die hast du im Griff." So kann man sich täuschen - die beiden hatten mich im Griff. Aber alles der Reihe nach.

Der Morgen verhiess nur Gutes. Das Meer war spiegelglatt, das Wasser mit 20° perfekt in Sachen Temperatur und als um 7.00 Uhr der Startschuss erfolgte, fand ich sofort meinen Rhythmus und schnelle Füsse. Im glasklaren Wasser waren die 2 km irgendwie viel zu schnell vorbei, ich wäre gerne noch weiter geschwommen. Nach etwas über 28 Minuten gings denn auch schon aufs Velo.

Ich fand sofort meinen Tritt und hatte gute Beine. Aber ich wusste, dass das kurze Tapering sich schon noch bemerkbar machen würde und entschied mich, die Sache verhalten anzugehen. An der ersten von vielen, vielen noch folgenden Steigungen der erste kleine Schock: Mein Umwerfer wollte nicht und ich konnte nicht aufs kleine Kettenblatt schalten. So musste ich immer erst auf den 23er, dann umwerfen und nach etwa zehn weiter Umdrehungen erbarmte sich das Ding meiner und legte die Kette um. Die nächsten rund 100 km lief alles perfekt und ich war recht flott unterwegs. Allerdings kündigte sich bereits der Wind an, der von Minute zu Minute stärker wurde.

Dann gings so richtig in die Sardischen Berge. Just in die Richtung, aus der der Wind blies. Obwohl die Steigungen nicht so steil waren, musste wir alle mächtig in den Lenker beissen. Dann, am Fuss der zweiten langen Steigung passierte es: Ich wollte die Kette mit dem geschilderten Trick 77 umwerfen, da sprang sie mir vom Kettenblatt und verklemmte sich mächtig zwischen der kleinen Scheibe und der Hinterradstrebe. Erst dachte ich, ich krieg das Ding da nie mehr raus. Irgendwie gelang es dann trotzdem und ich konnte nach gefühlten Minuten endlich weiter fahren. Es war aber nur das ersten von insgesamt drei Mal, denn nun schien meine Kette gefallen daran gefunden zu haben, mich zu ärgern.

So nach 140 km wurde immer härter. Gegenwind, stegiges Auf und Ab. Es war sehr warm und langsam wurde aus schwarz weiss - Salzränder überall. Dann gings in die wohl einzige, wirklich technische Abfahrt. Und schon in der zweiten Kurve verbremst ich mich big time. Ich schoss einfach gerade aus, über den Asphalt hinaus in den Kies und es knallte mich voll auf die Schnauze. Erst dachte ich, nichts sei mehr ganz - aber oh Wunder, nur mein endlich fast verheilter Ellenbogen schaute wieder wie Tomatensugo aus. Mein Trinkflachenhalter hinter dem Sattel war abgebrochen, aber sonst kein Schaden am Velo selbst. Ich rappelte mich auf und begann Patronen, Pit-Stop und Adapter abzuschrauben und in der Verpflegungstasche zu verstauen. Dann versuchte ich, den Reservecollé am Satten zu befestigen, was aber scheiterte. Dann Blut ablecken, ausspucken und hoffen, dass wirklich nichts weiteres an Mensch und Maschine kaputt war. Etwas zittrig fuhr ich wieder los, bis zur nächsten Aidstation, wo ich erste einmal mit viel Wasser ein erste Wundsäuberung durchführte. Da blieben sicher etwas 10 - 12 Minuten liegen, aber ich war immer noch im Rennen.

Die letzten 40 km waren dann einfach nur Hölle. Es ging konstant rauf und runter, Gegenwind der übleren Sorte und es wollte einfach nicht enden. Aber nach sieben Stunden im Sattel war es endlich vorbei. Alleine um mir den nächsten Schreck zu verpassen.

Ich stieg vom Rad und da war er wieder: mein blockierter Hamstring. Dieses Mal war er so zu, dass ich nur noch humpeln konnte. Ich wechselte in neuer Negativrekordzeit und wollte aus dem Wechselzelt rennen. Denkste. Ich blieb stehen und versuchte zu stretchen. Nichts schien zu gehen, mein rechtes Bein versagte seinen Dienst. Ich ging, massierte gleichzeitig, stretchte wieder, humpelte, schrie vor Enttäschung. Aufgeben? Ich wollte nicht noch einmal mit solchen Schmerzen so weit laufen, wie beim IM Switzerland. Aber aufgeben, erklären wieso? Nein, sagte eine innere Stimme. Beiss auf die Zähne, vielleicht wird es ja wieder besser. Ich musste an Nicole denken, der ich den Lauf widmen wollte. Wenn sie mich sehen könnte, ein Häufchen laufendes Elend. Also, sagte ich mir, denk an etwas anderes: hoch bleiben, Armarbeit, aktiv laufen. Und überhaupt, alle anderen schlichen auch mehr, als dass sie rannten. Und dann sagte ich mir: Du willst diese Finisher-Medaille - und das T-Shirt. Denn sie erzählen die Leidensgeschichte dieses Tages.

Ich hatte keine Ahnung, wie ich im Rennen lag. Runde für Runde sah ich Aldo und Pierre-Alain, immer etwa an der gleichen Stelle. Waren sie vor oder nach mir. Ich versuchte anhand der Rundenbändel zu sehen, wie sie lagen und sah es nie so genau. Als ich nach 9:26 Std. ins Ziel kam, stand Aldo da und schien um Jahre gealtert. Ich fragte ihn, ob er wisse, welchen Rang er belegte und er meinte: ich habe gewonnen, dieser andere Schweizer ist zweiter und du dritter. Wow. Ob ich wohl ähnlich alt aussah, wie Aldo?

Je länger ich diesen Sport betreibe, desto klarer wird mir eines: Es sind diese Geschichten, die ihn so faszinierend machen. Man lebt selten so sehr im Jetzt, wie während einem Triathlon. Es stellen sich so viele Hindernisse in den Weg und am Ende des Tages zählt, dass man diese Erfolgreich meistert. Dann stellt sich von alleine eine unglaublich tiefe Befriedigung über das Geleistete ein. Wenn es dann noch zu einer guten Rangierung reicht, umso schöner. Aber den persönlichen Triumph über seine Dämonen, den kann einem nichts und niemand wegnehmen.

Ich hoffe, dieses Rennen wird sich etablieren. Hier treffen ein wunderbares Fleckchen Erde und eine ganz grosse Herausforderung aufeinander. Dieser TriStar 222 Sardegna ist etwas vom härtesten, was es gibt. Ich schaue heute Morgen in die Gesichte der Finisher und sehe immer noch die Anstrengung, den Schmerz, aber auch die tiefe Freude über das Erreichte. So soll es sein.

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