Letzte Woche, kurz vor der Abreise nach
Sardinien, telefonierte ich mit Georges
Bürgi. Er hatte die Startliste studiert und meinte: "Neun Starter in deiner AG, aber ich kenne nur
Aldo Nobili und
Pierre-
Alain Piller - die hast du im Griff." So kann man sich täuschen - die beiden hatten mich im Griff. Aber alles der Reihe nach.
Der Morgen
verhiess nur Gutes. Das Meer war spiegelglatt, das Wasser mit 20° perfekt in Sachen Temperatur und als um 7.00 Uhr der Startschuss erfolgte, fand ich sofort meinen Rhythmus und schnelle
Füsse. Im glasklaren Wasser waren die 2 km irgendwie viel zu schnell vorbei, ich wäre gerne noch weiter geschwommen. Nach etwas über 28 Minuten
gings denn auch schon aufs
Velo.
Ich fand sofort meinen Tritt und hatte gute Beine. Aber ich wusste, dass das kurze
Tapering sich schon noch bemerkbar machen würde und entschied mich, die Sache verhalten anzugehen. An der ersten von vielen, vielen noch folgenden Steigungen der erste kleine Schock: Mein
Umwerfer wollte nicht und ich konnte nicht aufs kleine Kettenblatt schalten. So musste ich immer erst auf den 23er, dann umwerfen und nach etwa zehn weiter Umdrehungen erbarmte sich das Ding meiner und legte die Kette um. Die nächsten rund 100 km lief alles perfekt und ich war recht flott unterwegs. Allerdings kündigte sich bereits der Wind an, der von Minute zu Minute stärker wurde.
Dann
gings so richtig in die
Sardischen Berge. Just in die Richtung, aus der der Wind blies. Obwohl die Steigungen nicht so steil waren, musste wir alle mächtig in den
Lenker beissen. Dann, am
Fuss der zweiten langen Steigung passierte es: Ich wollte die Kette mit dem geschilderten Trick 77 umwerfen, da sprang sie mir vom Kettenblatt und verklemmte sich mächtig zwischen der kleinen Scheibe und der Hinterradstrebe. Erst dachte ich, ich
krieg das Ding da nie mehr raus. Irgendwie gelang es dann trotzdem und ich konnte nach gefühlten Minuten endlich weiter fahren. Es war aber nur das ersten von insgesamt drei Mal, denn nun schien meine Kette gefallen daran gefunden zu haben, mich zu ärgern.
So nach 140 km wurde immer härter. Gegenwind,
stegiges Auf und Ab. Es war sehr warm und langsam wurde aus schwarz
weiss - Salzränder überall. Dann
gings in die wohl einzige, wirklich technische Abfahrt. Und schon in der zweiten Kurve
verbremst ich mich
big time. Ich schoss einfach gerade aus, über den Asphalt hinaus in den Kies und es knallte mich voll auf die Schnauze. Erst dachte ich, nichts sei mehr ganz - aber oh Wunder, nur mein endlich fast verheilter Ellenbogen schaute wieder wie
Tomatensugo aus. Mein Trinkflachenhalter hinter dem Sattel war abgebrochen, aber sonst kein Schaden am
Velo selbst. Ich
rappelte mich auf und begann Patronen,
Pit-
Stop und Adapter
abzuschrauben und in der
Verpflegungstasche zu verstauen. Dann versuchte ich, den
Reservecollé am Satten zu befestigen, was aber scheiterte. Dann Blut ablecken, ausspucken und hoffen, dass wirklich nichts weiteres an Mensch und Maschine kaputt war. Etwas zittrig fuhr ich wieder los, bis zur nächsten Aidstation, wo ich erste einmal mit viel Wasser ein erste Wundsäuberung durchführte. Da blieben sicher etwas 10 - 12 Minuten liegen, aber ich war immer noch im Rennen.
Die letzten 40 km waren dann einfach nur Hölle. Es ging konstant
rauf und runter, Gegenwind der übleren Sorte und es wollte einfach nicht enden. Aber nach sieben Stunden im Sattel war es endlich vorbei. Alleine um mir den nächsten Schreck zu verpassen.
Ich stieg vom Rad und da war er wieder: mein blockierter
Hamstring. Dieses Mal war er so zu, dass ich nur noch humpeln konnte. Ich wechselte in neuer Negativrekordzeit und wollte aus dem Wechselzelt rennen.
Denkste. Ich blieb stehen und versuchte zu
stretchen. Nichts schien zu gehen, mein rechtes Bein versagte seinen Dienst. Ich ging, massierte gleichzeitig,
stretchte wieder, humpelte, schrie vor
Enttäschung. Aufgeben? Ich wollte nicht noch einmal mit solchen Schmerzen so weit laufen, wie beim IM
Switzerland. Aber aufgeben, erklären wieso? Nein, sagte eine innere Stimme.
Beiss auf die Zähne, vielleicht wird es ja wieder besser. Ich musste an Nicole denken, der ich den Lauf widmen wollte. Wenn sie mich sehen könnte, ein Häufchen laufendes Elend. Also, sagte ich mir,
denk an etwas anderes: hoch bleiben, Armarbeit, aktiv laufen. Und überhaupt, alle anderen schlichen auch mehr, als dass sie rannten. Und dann sagte ich mir: Du willst diese
Finisher-Medaille - und das T-
Shirt. Denn sie erzählen die
Leidensgeschichte dieses Tages.
Ich hatte keine Ahnung, wie ich im Rennen lag. Runde für Runde sah ich
Aldo und
Pierre-
Alain, immer etwa an der gleichen Stelle. Waren sie vor oder nach mir. Ich versuchte anhand der Rundenbändel zu sehen, wie sie lagen und sah es nie so genau. Als ich nach 9:26 Std. ins Ziel kam, stand
Aldo da und schien um Jahre gealtert. Ich fragte ihn, ob er wisse, welchen Rang er belegte und er meinte: ich habe gewonnen, dieser andere Schweizer ist zweiter und du dritter.
Wow. Ob ich wohl
ähnlich alt aussah, wie
Aldo?
Je länger ich diesen Sport betreibe, desto klarer wird mir eines: Es sind diese Geschichten, die ihn so faszinierend machen. Man lebt selten so sehr im Jetzt, wie während einem
Triathlon. Es stellen sich so viele Hindernisse in den Weg und am Ende des Tages zählt, dass man diese Erfolgreich meistert. Dann stellt sich von alleine eine unglaublich tiefe Befriedigung über das Geleistete ein. Wenn es dann noch zu einer guten
Rangierung reicht, umso schöner. Aber den persönlichen Triumph über seine Dämonen, den kann einem nichts und niemand wegnehmen.
Ich hoffe, dieses Rennen wird sich etablieren. Hier treffen ein wunderbares Fleckchen Erde und eine ganz
grosse Herausforderung aufeinander. Dieser
TriStar 222
Sardegna ist etwas vom härtesten, was es gibt. Ich schaue heute Morgen in die
Gesichte der
Finisher und sehe immer noch die Anstrengung, den Schmerz, aber auch die tiefe Freude über das Erreichte. So soll es sein.